29.09.2021
Argumente aus der Mitte – Robert Taxing im Bürgerdialog
Politiker sind nicht spontan, und ihnen ist völlig egal, was man ihnen zu sagen hat. So dachte ich – bis ich vergangene Woche die Fragerunde eines Spitzenkandidaten besuchte. Im Foyer der Mehrzweckhalle schiebe ich mich an Objektiven regionaler Fotografen, sperrigen Körpern lokaler Senioren und dominant ausgetreckten Maßkrügen vorbei. Etwa hundert Menschen haben sich hier eingefunden, um den Botschaften des Volksvertreters zu lauschen. Die Stimmung bewegt sich irgendwo zwischen Kirmes, Elternabend und Gottesdienst.
Schnell zeigt sich, dass der Politiker einen schweren Stand hat. Aus allen Ecken des Auditoriums fliegen ihm Vorwürfe entgegen, hier eine Kita mit morscher Wippe, da eine Schwimmbadrutsche, die wegen einer Baupanne in luftigen Höhen endet, dort Breitband-Internet… oder auch nicht. Je mehr Forderungen auf den Entscheider einprasseln, desto heftiger kribbelt es auch in meinem Bauch, mich mit fruchtbaren Anregungen einzubringen. Meinen Hormonen hilflos ausgeliefert, sprudeln die Silben schließlich aus mir heraus: „Sie sind ein typischer Politiker, sie reden nur in Phrasen, wann höre ich endlich mal Klartext von ihnen?“
Der Angesprochene kippt seinen Kopf zur Seite und formt einen spitzen Mund; diese Pose hält er. „Jetzt“, erwidert er, steht auf, läuft zu mir und übergibt mir das Mikro. „Setzen sie sich auf meinen Platz und erklären sie ihr Wahlprogramm.“ Ich schaue ihn irritiert an, auf das Mikro, auf ihn. „Kommen sie schon“, bekräftigt er seinen abstrusen Wunsch. Die Dynamik der Situation beschleunigt sich durch aufbrandenden Beifall. Die festlich aufeinanderknallenden Handflächen signalisieren mir, dass mein Weg gefälligst in die Mitte zu führen habe. Wie in meinem eigenen Traum gefangen, tapere ich zum Stuhl. Der Moderator, ein blasser, dünner Junge, womöglich ein Wochenpraktikant, goutiert die plötzliche Wendung und nickt großzügig wie die Neunzigerversion von Thomas Gottschalk in die Menge. „Ich bin überzeugt, es gibt einige Fragen an unseren taufrischen Spitzenkandidaten?“, verkündet er die Saalwette.
Vereinzeltes Räuspern, beschäftigtes Husten. Dann reckt jemand seinen Kopf in die Höhe. Eine Frauenhand drückt den zerfledderten Schopf wieder nach unten. Der Kopf befreit sich. Dann schnellt der Zeigefinger nach oben. Ich erkenne, dass es sich um meinen Schwiegersohn handelt, begleitet von seiner Schwester. „Ich“, beginnt er, „Ich will wissen: Was wollen sie tun, um Minderheiten wie mich – ich bin Heavy-Metal-Fan – angemessener zu berücksichtigen? Aufgrund der Ruheverordnungen hat seit Jahren kein ordentliches Konzert mehr in diesem Ort stattgefunden.“
Warmer Applaus. Derweil steigt genüsslich schwarzer Rauch aus meinem Unterleib über das Brustbein bis zum Adamsapfel, bündelt dort allen Zorn darüber, dass diese lausige, charakterlose Puffotter nicht einfach ihre von vierzig Zigaretten am Tag reichlich verweste Klappe halten konnte. „Vielen Dank für ihre freundliche Wortmeldung“, antworte ich. „Sie weisen hier auf einen wichtigen Punkt hin. Und deswegen möchte ich ihnen“, in dieser Sekunde stehe ich auf und gehe zu ihm, „ganz persönlich die Gelegenheit geben, uns wertvolle Einblicke in ihr favorisiertes Musikgenre zu vermitteln.“ Ich reiche ihm das Mikro. Ein leichter, aber gezielter und vor allem versteckter Tritt in seine Kniekehle hilft ihm, die richtige Route einzuschlagen – nämlich die ins Zentrum des Geschehens. Dort angekommen, stammelt er irgendwas von gutturalem Gesang, wellenartigen Riffs und abgebissenen Fledermausköpfen.
Die Augen sind nun auf ihn gerichtet. Und ich ergreife die Chance, auf leisen Sohlen zwischen den Lenden der Anwesenden aus dem Raum zu schleichen. Auch an der Jeans von Roland Wilm winde ich mich vorbei. Vielleicht sollte ich ihn morgen mal anrufen und mich informieren, welche steuerlichen Konsequenzen eine Jamaica- oder Ampelkoalition nach sich ziehen würde. Für mich steht die Ampel jetzt erst mal auf Grün. Da ist der Hinterausgang…
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