Mehr als die klassische Steuerberatung

11.03.2021

Das Oktoberfestfiasko – ein Nebenjob und seine ausschweifenden Facetten

Wir plaudern beim Abendbrot über unsere schlimmsten Nebenjobs. Meine Frau musste als Teenagerin Drillinge hüten – und verwechselte sie ständig, mein Sohn einen Kanarienvogel, der am laufenden Band „Dancing Queen“ krächzte. Und ich war: Oktoberfest-Guide. Mein erster und einziger Arbeitstag: einschneidend. Die Touristengruppe, der ich das bayerische Gebaren näherbringen wollte, bestand aus dem norddeutschen Ehepaar Heike und Edgar, dem indischen IT-Experten Ranjid, dem brasilianischen Austauschstudenten Diego und der holländischen Hausfrau Marilou, die nach langer Ehe wieder die Früchte der Freiheit schmeckte. 

 

Edgar begrüßt mich mit einem krachenden Schlag auf den Rücken: „Junge, nimm einen Schluck“, drückt er mir sein Bierglas ans Kinn. Marilou serviert mir – weitaus angenehmer – ein Küsschen auf die Wange; und das Kompliment: „Hé, knappe man!“, niederländisch für „Hallo, schöner Mann!“. Weil ich höflich sein will, trinke ich eine Runde mit. Mein Radler ist noch halb voll, als Heike ihren Krug auf die Garnitur knallt: „Ich will mich gruseln – ab in die Geisterbahn!“ Die Horde johlt. Also ziehe ich mit einem Lageplan vor der Nase und einer Polonäse im Nacken quer über die Theresienwiese. 

 

Wir steigen in einen der klobigen Wagen. Ich bin erleichtert, dass die Exkursion zwischen grinsenden Skeletten und blinkenden Spinnweben glatt verläuft, als plötzlich ein Werwolf aus dem Dunkel hervorprescht. Marilou fühlt sich berufen, die Gefahr zu bannen. Sie springt aus dem Waggon, reißt dem Berufsbösewicht die Perücke vom Schädel und zirkelt sie in ein Fledermausnest unter dem Giebel. Die flauschigen Ohren der Bestie fliegen hinterher. Sie treibt den irritierten Tagelöhner mit grellen Schreien durch den grün ausgeleuchteten Notausgang. Die Meute klatscht herrisch Beifall, während Marilou beseelt von ihrem Sieg zurückkehrt.

 

Anschließend stärkt sich die Kompanie. Edgar taucht förmlich in seine Zuckerwatte ein. Die Hälfte der Süßspeise verfängt sich in seinem üppigen Vollbart. Seine Frau wedelt mit forschen Schlägen die Kollateralschäden aus seinem dichten Gesichtsschmuck. Die Partikel rieseln nach und nach auf meine Ledertracht. Marilou schiebt Ranjid eine lange Pommes zwischen die Lippen, wackelt dabei lüstern mit den Augenbrauen und wünscht ihm „goede Eetlust“. Für Diego genau der richtige Zeitpunkt, ein Gruppenfoto zu schießen. Die Pommes hängt Ranjid noch reichlich aus dem Mund – egal. „Cheeeese.“

 

Der Abend endet in einem der mächtigen Festzelte. Auf den Bänken stehend, schmettert die verschworene Bande Songs von Heino und Costa Cordalis. Während ich erschöpft mit den Füßen die schwankende Bank in Balance halte, blitzt auf dem Handy eine SMS von meinem Chef auf: „Morgen wirst du einen Junggesellinnenabschied übernehmen.“ „Wie soll ich partylustige Mittzwanzigerinnen bändigen, wenn ich bereits mit ‚normalen‘ Touristen überfordert bin?“, schlucke ich.

 

Nachts bringe ich kaum ein Auge zu, träume von einem Werwolf, der rastlos durch München streift und von Dirndlträgerinnen, die mich an einen Baum fesseln und mir ein Schleifchen um den Hals binden. Noch am Morgen kündige ich den Job: „Akute Bronchitis…“ Damit ich zumindest von Steuern keine Alpträume bekomme, gibt es Roland Wilm. Er weiß etwa, ob man auf Honorare, die man nicht durch seine selbständige Kerntätigkeit erzielt, Steuern bezahlen muss. Ich rufe ihn gleich mal an… vielleicht wäre es eine gute Idee, mich in der Pandemie nützlich zu machen. 


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