Die Party vor dem Rennen – vom Lava-Kuchen zum Dia-Desaster

Ich öffne die Tür zum Esszimmer und kann nicht glauben, was ich sehe: Dutzende Lampions hängen an der Decke, Ballons hüpfen über den Boden, es hat Konfetti geregnet. Meine gesamte Familie sitzt mit goldenen Hütchen am Tisch. „Überraschuuung!“, schallt es mir entgegen. Meine Frau fällt mir um den Hals: „Schatz, wir feiern heute deinen Lauf.“ Verdutzt setze ich mich. Auf Augenhöhe mit Schrotti, dem Leguan meines Schwiegersohns, der schwanzwedelnd auf dessen Schulter thront. Meine Tochter hängt ihm einen Wimpel um, auf ihm steht: „Vulkanmission 2023 – nur einer hat genug Feuer im Hintern“. Damit bin hoffentlich ich gemeint, und nicht der grüne Kletter-Komödiant.

Angela kredenzt einen, wie sie sagt, „Lava-Leckerbissen“ – einen Schokoladenkuchen in Gestalt eines Vulkans, an dessen Rändern Magma herabläuft, sprich: Erdbeerglasur. Eigentlich freut mich das. Allerdings habe ich meinen Ernährungsplan verinnerlicht wie ein bibeltreuer Christ die sieben Todsünden. Daher lege ich mir ein Stück auf den Teller und schiebe es in Sekunden allgemeiner Ablenkung Schrotti ins Maul, der mittlerweile zwischen den Beinen der Gäste einen Palmenslalom veranstaltet. Ein weiterer Meilenstein unserer Pseudo-Freundschaft.

Angela verschwindet in den Keller. Zurück kehrt sie mit einem Diaprojektor. „Es ist jetzt Zeit für die schönsten Momente seiner Trainingswochen“, frohlockt sie. Wäre mir bewusst gewesen, was sie unter „schön“ versteht, ich hätte Schrotti ein weiteres Dessert gezaubert – aus Dias. Die beworfene Wand kündet von einem betrunkenen Weberknecht, der sich mit Körperteilen, die er gar nicht besitzt, in einer Radlerhose verheddert. Anschließend werden die Gäste Zeugen eines pikanten Überholvorgangs: Am Rande des Parkteichs heftet sich ein Entenküken an meine Fersen; es schnappt erfolgreich nach meinem Schnürsenkel – und aktiviert so den Schleudersitz zurück in den Tümpel. Auf einem anderen Bild deute ich mit dem Finger auf die Küchenwaage. Angela plaudert die dazugehörige Sternstunde ungeniert aus: „Robert hatte nach einer Woche zwei Pfund abgenommen und meinte, er müsse sich zukünftig hierauf wiegen.“

Zum Abschied hält mir ihr Bruder Rüdiger ein Säckchen mit Pilzen in bizarren Formen und schrillen Farben an die Schläfe. „Iss diese Wunder der Natur und du wirst schweben wie auf Wolken“, flüstert er. In Anbetracht nahender Probleme mit der örtlichen Dopingkommission platziere ich es neben dem Bioabfall. Meine Kinder überreichen mir eine Karte: „Auch wenn du ein ziemlich cooler Papa bist – du wirst die heißen Hügel spielend meistern!“ Gerührt bedanke ich mich und verabschiede alle Gäste. Auch meinen Schwiegersohn. Aus seiner hinteren Hosentasche lugt ein geraffter Stoffverschluss. Guten Appetit, du Gauner – womöglich wird es dein letztes Omelett sein.

Abends liege ich im Bett noch lange wach. Ich muss zurückdenken an meine Schulzeit, daran, dass ich bei den Bundesjugendspielen stets nur eine Teilnehmerurkunde überreicht bekam, und dafür hämische Lacher kassierte. Bei Fußballspielen weigerten sich selbst meine Freunde, mich in ihre Mannschaft zu wählen. Diese Bilder hatte ich verdrängt. Sind sie der Grund für meinen Ehrgeiz? Ich merke, dass mir dieser Lauf mehr bedeutet, als mir lieb ist. Sogar meinem Steuerberater habe ich davon erzählt. Er werde vorbeischauen, die Vulkanlandschaft am Vogelsberg reize ihn ohnehin. So eine Unterstützung wünscht man sich – nicht nur bei den Steuern.