Mehr als die klassische Steuerberatung

28.08.2024

Olympischer Abend – Mein Sprung ins Ungewisse

Ein spärlich besonnter Nachmittag, mein Hintern versinkt im Ledersessel, die Füße retten sich auf den Hocker. Ich lasse mich von meinem guten alten Röhrenfernseher im Arbeitszimmer von den Olympischen Spielen berieseln. Plötzlich weckt eine Szene meine volle Aufmerksamkeit. Ein sehniger Schwede namens Armand Duplantis bereitet sich auf den höchsten Stabhochsprung aller Zeiten vor: 6 Meter 25. Das Stadion klatscht rhythmisch, wird dann klosterstill, und als er sich mit einem kraftvollen Satz über die Latte katapultiert, hält es niemanden mehr auf den Sitzen – und mich nicht im Sessel. Ich stehe auf und applaudiere.

 

Der Springer jubelt ekstatisch und rennt zu seiner laufstegschönen Verlobten, die ihm ein Küsschen verpasst. „Nicht schlecht … auch nicht der Sprung“, murmele ich und verbiege meinen Kopf, um sicherzustellen, dass meine Frau nicht leise und gespenstisch in meine Gefilde gedrungen ist. In eben jenem ploppt ein weiterer Gedanke auf: Über meinen Tümpel legt sich brusthoch von einer Birke abgehend ein Ast. Bislang hat mich dieser Ast nicht interessiert. Heute könnte ihm jedoch eine königliche Funktion zuteilwerden. „Was der Schwede kann, kann ich auch.“

 

Ich hechte die Treppe hinab und stürze hinaus in den Schuppen, wo ich nach einem geeigneten Sprungstab suche. Zuerst fällt mein Blick auf eine alte Harke. Zu schwer, und viel zu unhandlich. Außerdem benötige ich die Talente eines Fakirs, wenn ich ungünstig auf dem Ding lande. Dann entdecke ich die Angelrute, die ich lange nicht mehr benutzt habe. Perfekt, denke ich. Doch kaum schwinge ich die Rute, um ihre Stabilität zu testen, verfängt sich der Haken in der Gardine, die sich mit einem reißenden Geräusch vom Fenster löst. Da der verschlissene sandbraune Samt seit dem Kaiserreich weder beachtet noch gepflegt wurde, segelt mit ihm ein üppiges Bündel Spinnenweben auf mein Haar. Nennen wir diesen Look: netztravagant. Würde ich einen Perückenhändler kennen, er wäre stolz auf dieses Fabrikat.

 

Ich friemle das Spinnengeflecht mitsamt einigen kugelartigen Bewohnern des Fadenreichs von meinem Haupt. Entnervt und resigniert steuere ich die Tür an. Auf dem Weg passiere ich eine alte Zeltstange, die zwischen ein paar Fahrrädern eingeklemmt ist. „Hmm … die könnte passen.“ Nach einem gezielten Testgriff weitet sich meine zögerliche Hoffnung zu olympischen Gelüsten aus. Entschlossen marschiere ich mit der Stange, die einsetzende Dämmerung ignorierend, zum Tümpel.

 

Ich stelle mich in Position, halte die Zeltstange fest in beiden Händen. Meine Zeit ist nun gekommen, sinniere ich, mit meinem Können werde ich die Schwerkraft verblassen lassen. Soweit der Wunsch. Die Realität: Ich nehme fünf Meter Anlauf, trete kurz vor dem Wasser auf einen losen Stein, verliere das Gleichgewicht und klatsche mitten ins Nass. Damit nicht genug. „Aaaauuaaa“, dröhnt es unter mir hervor. Mein Gott, ich bin auf jemandem gelandet! Ich steige von dem Wesen herab, richte mich auf, und sehe dann, wie mein Schwiegersohn sich langsam aus dem Wasser erhebt, das Gesicht vor Schreck und Unmut verzogen.

 

„Was machst du denn hier?“, rufe ich erstaunt, während er sich die Algen vom Kopf wischt, was mir aufgrund meines vorherigen Haar-Fiaskos eine gewisse Genugtuung verschafft. „Ich wollte den Ablaichkasten reparieren, den du am Wochenende provisorisch zusammengebaut hast. Das Teil bietet weniger Schutz als ein kleinwüchsiger Türsteher.“ Ich nicke verdutzt. „Und was machst du hier? Willst du campen?“, fragt er mich und zeigt auf die Zeltstange, die wie ein ersteifter Zitteraal auf dem Wasser treibt.

 

„Nun … ich habe den Haustürschlüsselbund bei der Gartenarbeit verloren. Ich dachte, er wäre vielleicht in den Tümpel gefallen“, lüge ich. „Eine ziemlich schwungvolle Suche“, sagt David. Er kramt in seiner Hosentasche den Bund hervor und wirft ihn mir zu. „Der hing am Schlüsselbrett, wie immer.“ Bedient entschuldige ich mich bei ihm, räume den Zitteraal in den Schuppen, kehre ins Haus zurück, schnappe mir ein Handtuch und steige die Treppe hoch ins Arbeitszimmer. Tropfend und triefend stehe ich vor dem Sessel. Im Fernsehen kommt gerade die Wiederholung des Weltrekordsprungs. „Junge, vielleicht ist das doch nicht so einfach“, flüstere ich, und schaue aus dem Fenster, zu David, dem Ast und dem Ablaichkasten. „Weltrekordversuche werde ich zukünftig nur noch beim Pfannkuchenwenden durchführen.“ Das schwöre ich mir.

 

Ebenfalls weltrekordverdächtig ist übrigens mein Steuerberater Roland Wilm. Er hat so viele Paragraphen im Kopf, dass es mir manchmal schwindelig wird. Zum Glück hat er ebenso das Talent, sie in einfachen Worten zu erklären. Denn was bringt Wissen, wenn man es nicht einleuchtend vermitteln kann? Ich rufe ihn morgen mal an, damit ich die Latte bei der Steuererklärung nicht reiße … 


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