30.10.2025
Schluckauf im Scheinwerferlicht – Über die Herausforderungen des Totseins
Der Montag beginnt mit feuchter Kälte und diesem elektrischen Kribbeln, das vor bedeutenden Tagen in den Fingern wohnt. Angela fährt, ich klemme auf dem Beifahrersitz zwei ausgebeulte Taschen fest. „Was hast du da alles drin?“, stöhne ich. „Set-Realität“, sagt Angela. „Thermoleggings, Traubenzucker, Pflaster, Aspirin, Lippenbalsam. Und … Nerventonikum.“ Ein Blick, der keine Nachfragen zulässt.
Die Location wirkt wie ein Ameisenhaufen auf Koffein: kontrolliertes Chaos, Kabelschlangen, Transportkisten, Menschen in Neonwesten, ein Foodtruck, aus dem fettige Brötchen dampfen. „Das riecht nach Fernsehen“, sagt Angela ehrfürchtig. „Oder nach Dorfkirmes“, erwidere ich. Ein junger Lockenkopf mit Headset schiebt uns durch die Anmeldung. „Angela Taxing, Komparsin Leiche.“ Die Set-Runnerin lächelt professionell. „Maske links, Garderobe rechts, bitte nichts anfassen, was leuchtet.“
Im Garderobenraum wartet auf den Sofas eine bunte Statisten-Sammlung: Ein massiver Typ mit Armen wie Umzugskartons in einer so engen Lederjacke, dass sie bei jedem Atemzug quietscht. Daneben eine Frau mit Filzschuhen und strengem Dutt – pensionierte Lehrerin, kein Zweifel. In der Ecke zwei TikTok-Zwillinge, synchron scrollend, Lippen wie frisch lackiert, jede Geste für die Frontkamera des Lebens. Und ein Mann im Tweed, der nach Antiquariat riecht und garantiert jeden zweiten Satz mit „In der UFA-Zeit …“ beginnen lässt. Angela setzt sich, als gehöre ihr der Raum. „Ich spiele heute die Leiche.“ Ein Raunen. Der Lederjacken-Typ nickt respektvoll. „Rücken aus Stahl.“ Die Lehrerin hebt die Brille. „Leichen brauchen Disziplin.“ Angela lächelt königlich.
Die Statisten erklären den Ablauf: Maske zuerst. Also betreten wir den Raum gegenüber. Die Maskenbildnerin nennt alle „Schatz“, arbeitet aber wie eine Mikrochirurgin. Sie malt Angela die Haut ins Jenseits: wächsern, ein kühles Blau an den Mundwinkeln, ein Schatten unter dem Kiefer. „Nicht schlucken“, sagt sie. Angela schluckt nicht. Die Kostümbildnerin reicht eine neutrale Bluse und eine Decke gegen die Kälte.
Zurück in der Garderobe beginnt das große Warten. Minuten dehnen sich wie Kaugummi. Angela kramt das Nerventonikum hervor. Die kleine, grüne Flasche verrät: Doornkaat. „Ein Schluck gegen Lampenfieber“, erklärt sie. Unter meinem erstaunten Blick zieht sie nicht eine, nicht zwei, sondern acht Mini-Flaschen aus der Tasche. „Teamservice“, sagt sie und verteilt sie. Der Lederkoloss nimmt das Fläschchen mit unerwarteter Andacht entgegen. Die Pädagogin a. D. runzelt die Stirn, greift dann aber doch zu. Die TikTok-Zwillinge filmen „aus Versehen“ den Boden und flüstern „Oh my God“. Angela hebt ihr Fläschchen. „Ein Schluck macht locker, zwei machen uns unsterblich.“ Ich denke: Unsterblich – passt zur Leiche.
Die Stimmung kippt von nervös zu Festival. Einige glucksen hysterisch, andere hängen wie nasse Handtücher über den Sofas. Plötzlich ruft jemand „Statisten-Bingo!“ in den Raum. „Wer schon mal ‚Handy ans Ohr ohne Ton‘ gespielt hat – Kreuz.“ „Wer in einer historischen Serie wegen sichtbarer Armbanduhr rausflog – Kreuz.“ Die Runde johlt. Angela kann nicht mitreden, es ist schließlich ihr erster Einsatz. Aus Verlegenheit kippt sie noch einen Doornkaat nach. „Nur um den Puls zu beruhigen“, meint sie. Der Doornkaat beruhigt nicht. Ihr Atem wird schneller. Dann das Unvermeidliche: Hicks. „Wenn die gleich drehen, haben wir hier ‚Tatort: Im Fadenkreuz des Katers‘“, sage ich. Angela lacht, und verschluckt sich abermals. Hicks!
Sie hält sich die Kehle. Hicks. Ich drücke ihr Traubenzucker in die Hand, reiche Wasser, klopfe auf den Rücken, presse ihre Ohren zu. Die Lehrerin empfiehlt, neunmal leise „Leberwurst“ zu denken. Angela starrt sie an, denkt es zweimal laut. Hicks.
Die Tür fliegt auf. Eine Regieassistentin, jung, wach, To-do-Liste in Menschengestalt: „Angela Taxing bitte zum Drehen!“ Der Raum verstummt. Alle starren. Angela erhebt sich zögerlich. Hicks! Der Schrank in Kunstleder reicht ihr eine Wärmflasche. „Vielleicht hilft das.“ Angela stopft sie geistesgegenwärtig unter die Bluse.
Ich gehe so weit mit, wie man mich lässt. Im Flur sammeln sich Gewerke wie seltene Vogelarten: Regisseur mit ganzjährigem Schal, Tonleute mit Kopfhörern wie Schutzschildern. „Bitte absolute Ruhe“, ruft jemand. Draußen, im leichten Kunstnebel, bildet ein Kreidekreuz auf dem Boden ihre Endstation. Noch hat niemand die Wärmflasche bemerkt. Und das Hicksen auch nicht …
Wie sie sich in dieser brenzligen Situation als Leiche geschlagen hat, wird im November gelüftet. Beim Anblick der verteilten Doornkaat-Fläschchen schoss mir übrigens unwillkürlich eine steuerliche Frage durch den Kopf: Wie viele Drinks gelten bei einer geschäftlichen Einladung eigentlich noch als absetzbar? Gibt’s da ein Limit – für Leber und Finanzamt? Ich rufe gleich Roland Wilm an; der kennt die Fußnoten im Steuerrecht – und ist immer bei klarem Verstand.
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