Tropenfieber im Januar – Auf der Jagd nach dem kulinarischen Schatz

Rechnung über Rechnung. Formular über Formular. „Diese Zettelwirtschaft treibt mich noch in den Wahnsinn“, schiebe ich bedient den letzten Ordner in den Schrank meines Dachbodenbüros. Zum Glück macht mein Steuerberater Roland Wilm den Rest; und zwar mit Leidenschaft. Bewundernswert. Mein Hirn fühlt sich an wie Mürbeteig; auch wenn sich aus ihm keine Sachertorte formen lässt. „Endlich kann ich Fußball schauen“, klettern meine Gedanken in die Feierabend-Hängematte. Der Körper möchte folgen; ich schleppe ihn über die Wendeltreppe. Doch auf halber Strecke weht mir eine sonderbare Klang-Ausdünstung entgegen: eine Mischung aus wirrem Gewusel und ohnmächtigem Japsen; Vorbotin eines Fernsehvergnügens, das mit meinem Wunschprogramm nichts zu tun hat – abgesehen vom animalischen Gesichtsausdruck mancher Torhüter. 

Die gesamte Familie hat sich auf der Couch versammelt: Dschungelcamp. Die Blicke meiner Liebsten scheinen hypnotisch gesteuert – sie beobachten einen Kandidaten, der in einer mit Maden, Kakerlaken und Mehlwürmern gefüllten Wanne badet. Eine Kneipp-Kur der besonderen Art. Die finalen Stufen nehme ich langsamer, um ein wirkungsvolles Veto zu stricken. Bingo! Beschleunigen. „Jetzt läuft ein Spiel, auf das ich mich schon seit Wochen freue. Ich würde gerne umschalten, okay?“ Meine Frau greift sich die Fernbedienung und vergräbt sie unter ihren Fingern; die Beine einer wachsamen Vogelspinne. Ich kauere mich eingeschnappt in die Ecke. „Wie kann man nur so einen Mist schauen? Ich zweifle an eurem Verstand“, belle ich in die Runde. Mittlerweile isst der Kandidat das erwähnte Getier. Ich wehre mich, doch irgendwie fasziniert mich, was ich sehe.

Am nächsten Tag. Ich betrete den Supermarkt, um frisches Brot, Suppengemüse und die Zeitung zu kaufen. An der Tiefkühltruhe erschrickt der Homo erectus in mir: „Top-Angebot – Heuschreckenburger. Nur 2,99 Euro“. Ich beruhige mich. Mit meinen nackten Händen betaste ich eine Packung; umfasse sie vorsichtig. Ein bisschen fühle ich mich wie Indiana Jones. Als hätte ich meine Zander-Schildkappe vom Angelverein gegen einen Fedora-Filzhut der Freiheit eingetauscht. Verwegen studiere ich Zeile für Zeile: hochwertiges Eiweiß, wichtige Vitamine, knusprig und aromatisch. Ich verlasse die vorgebeugte Angriffsposition und stelle mich wieder aufrecht. Alles halb so wild. Die tun nichts. Ich drehe meinen Kopf nach rechts, nach links, nach hinten. Niemand soll denken, ich plane eine Dschungelprüfung. Ich bin schließlich seriöser Versicherungsfachmann und kein Möbelhaus-Troubadour oder Bachelor-Schatzi. Die Neugier setzt sich durch.

Daheim kann ich es kaum abwarten. Die Luft ist rein. Ab in den Backofen. Zehn Minuten. Fertig. Im Angesicht der Heuschrecken zirpe ich noch ein kurzes Stoßgebet in den Insektenhimmel. Ich reiße den Mund weit auf, schließe die Augen und gönne mir einen riesigen Bissen. Es bricht, knackt und drückt zwischen meinen Backen. Mir stockt die Luft. Ich habe die Ladung falsch berechnet. Hustend schleudere ich ein Dutzend der gelb-braunen Wiesenbewohner-Körper auf den Teppichboden. Ich öffne die Augen. Erlöst. Oder auch nicht. Durch die gläserne Terrassentür erspähe ich meine Familie, die mich skeptisch mustert. Meine Frau schüttelt den Kopf. Meine Tochter hält ungläubig ihre Hand vor den Mund. Mein Sohn bewegt seine Arme, als würde er staubsaugen. Heute Abend bleibe ich besser im Büro.